TIPPS UND INFOS

Wo es blüht und summt

Text: Ulrike Reschke | Foto (Header): © Jürgen Gerdes

Artenvielfalt beginnt dort, wo sich der Mensch zurückhält und heimischen Arten Raum gibt. Diesen bietet das Straßenbegleitgrün reichlich. Den gesetzlichen Rahmen schafft der Naturschutz.

Auszug aus:

der bauhofLeiter
Ausgabe Februar 2023
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Der Begriff Straßenbegleitgrün umfasst die als Grünflächen unterschiedlich ausgebildeten Straßennebenflächen, z. B. Gräben, Straßenbankette und Böschungen. „Als Sonderstandorte gelten begrünbare Stützbauwerke, Mittelinseln von Kreisverkehren, Mittelstreifen, Pflanzbeete vor Lärmschutzanlagen und Regenrückhalteanlagen“, erklärt eine Sprecherin des Landesbetriebs Straßenbau Nordrhein-Westfalen („Straßen.NRW“). Dieser ist für einen Großteil der Landes- und Bundesstraßen in NRW zuständig und betreut auch rund 1.000 km Kreisstraßen und 7.000 km Radwege.

Bei der Neugestaltung von Seitenflächen an außerörtlichen Straßen greift seit März 2020 das Bundesnaturschutzgesetz (§ 40 BNatSchG), das für Pflanzungen und Einsaaten die Verwendung von Gehölzen und Saaten gebietseigener Herkunft vorschreibt – bundesweit. Diese ökologisch sinnvolle Vorgehensweise entspricht auch den Leitlinien des Blühpakts Bayern. „Wo möglich, sollen Flächen entstehen, die mit mehr Artenvielfalt Lebensräume und Nahrung für Insekten bieten“, sagt die stellvertretende Leiterin des Referats Blühpakt im Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz, Dagmar Schmitt. Häufig werde jedoch zu oft oder nicht insektenfreundlich gemäht oder gemulcht. „Wichtig wäre, das Schnittgut abzutransportieren“, sagt sie. Doch sei das Material an den Straßenrändern oft mit Schadstoffen belastet und muss kostenpflichtig entsorgt werden. In Bayern laufen verschiedene Projekte, um dafür Lösungen zu entwickeln.

„An die Planung, die Ausführung und auch an die notwendigen Pflegearbeiten werden bei den unterschiedlichen Maßnahmen hohe Anforderungen gestellt“, sagt die Straßenbau.NRW-Sprecherin. Als Basis für die Grün- und Gehölzpflege dient in NRW das Merkblatt für den Straßenbetriebsdienst, Teil I „Grünpflege“ der FGSV (Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen). Es informiert zur Pflege von Grünflächen an Straßen, Rasenflächen, Gehölzflächen und Straßenbäumen.

Zur Pflege: An Intensivbereichen der Straße, wie Bankette, Mulden, Gräben, Rastplätzen, Sichtflächen sowie Trenn- und Mittelstreifen, ist eine mehrmalige Pflege pro Jahr erforderlich. Im Extensivbereich hingegen – der beispielsweise Böschungen, Mulden oder Flächen außerhalb des Straßenrandbereichs umfasst – kann es, abhängig von den örtlichen Gegebenheiten, ausreichen, alle zwei bis drei Jahre Grasflächen zu mähen oder über die Wurzel austreibende Gehölze zu pflegen. Für Gehölzpflegearbeiten gelten die gesetzlichen Vorschriften (§ 39 BNatSchG). Ausnahmen bestehen für Pflegemaßnahmen oder Fällungen, die im öffentlichen Interesse, etwa zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit, vorgenommen werden müssen. Bei einem Vorkommen artenschutzrelevanter Arten ist vor Gehölzpflegemaßnahmen insbesondere sicherzustellen, dass die Ruhe- oder Fortpflanzungsplätze besonders geschützter, wildlebender Tiere nicht beschädigt oder zerstört werden, schreibt § 44 BNatSchG vor. Digitale Karten der Lebensräume geschützter Arten helfen bei der Planung der Arbeiten.

Schulungen für Mitarbeitende von Baubetriebshöfen bieten viele Bundesländer, als Beispiele seien hier NRW und Bayern genannt. „Die zuständigen Mitarbeitenden werden regelmäßig geschult“, sagt die Sprecherin von Straßenbau.NRW. In den Schulungen werde das Konfliktpotenzial von Verkehrssicherungspflicht und Artenschutz intensiv beleuchtet. Ein Ziel der Fortbildungen sei es, Habitat-Strukturen zu erkennen, artenschutzrelevante Arten zu bestimmen und ihren Schutzstatus mit den notwendigen Pflegearbeiten abzustimmen. Die wertvollen Areale sind Lebensraum für Pflanzen, Tiere und Insekten, die in ihrem Zusammenleben eng vernetzt und füreinander bedeutsam sind.

Geschützte Arten, die in den oben beschriebenen Grünflächen vorkommen können:
• Haselmaus
• Bilche
• viele heimische Vogelarten
• höhlenbrütende Vogelarten
• Greifvögel (Horste)
• etliche Fledermausarten
• viele Insektenarten
• Amphibien
• verschiedene Pflanzenarten

Besondere Beachtung und Pflege benötigen die an vielen Straßen als Überflughilfe für Fledermäuse gepflanzten Heckenstrukturen, die häufig nahe der Fahrbahn und z. T. auch in Mittelstreifen angelegt sind, um ihre Wirkung erfüllen zu können. Sie müssen regelmäßig kontrolliert und in der Zeit von April bis Oktober verstärkt bewässert werden. Die praxisorientierten Angebote des „Blühpakt Bayern“ vermitteln Grundlagen der ökologischen Gestaltung und Pflege kommunaler Grünflächen. In Zusammenarbeit mit der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landespflege (ANL) wurde ein Handbuch für Bauhöfe entwickelt mit dem Titel „Kommunale Grünflächen: vielfältig – artenreich – insektenfreundlich“. Ansprechpartner für Bauhofschulungen im Rahmen dieses Konzepts ist die jeweilige Kreisfachberatung für Gartenkultur und Landespflege.

Über Grundlagen der Pflege informieren in eigenen Publikationen für Mitarbeitende von Bauhöfen beispielsweise das Bayerische Umweltministerium (o. g. Praxis-Handbuch des „Blühpakt Bayern“), der Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen (Straßen.NRW) oder das Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung (MELUND) Schleswig-Holstein („Artenreiche Grünflächen. Handreichung zur Anlage und Pflege artenreicher Grünflächen an Straßen, Wegen und Plätzen“). Erhältlich sind sie als PDF-Download auf den jeweiligen Internetseiten. Über standortspezifische Informationen hinaus enthalten sie Tipps zum Erkennen, Aufwerten und zur Neuanlage ökologisch wertvoller Flächen wie Blühwiesen oder Magerrasen.

 

Das sagt ein Vogelexperte

Martin Rümmler, Referent für Vogelschutz beim Naturschutzbund Deutschland (NABU), sagt: „Es ist zu begrüßen, Rand- und Mittelstreifen mit Wildblumen zu begrünen.“ Für verschiedene Vogelarten dürften jedoch Biotop-Bäume nicht vergessen werden, die Höhlen zum Brüten und Bewohnen bieten. Das nütze Meise, Sperling, Star, Wiedehopf und Wendehals, aber auch Fledermäusen und im Holz lebenden Insekten. Besonderes Augenmerk sei aus Gründen der Verkehrssicherheit auf die Statik der Bäume, die auch als Ansitze für Mäusebussarde dienen, am Straßenrand zu richten, warnt Rümmler. Falscher Schnitt könne über Jahre dazu führen, dass die Standfestigkeit der Bäume leidet, da Fäulnisstellen entstehen können. „Es muss individuell jeder Fall begutachtet werden.“ Bei Hecken rät Rümmler, der auf viele Jahre Erfahrung in der Stadtökologie zurückblicken kann, auf selektiven Schnitt. „Auf Stock setzen ist schlecht für die Artenvielfalt“, sagt er. Im Zusammenhang mit Verkehrswegen sei die Höhe der Pflanzen immer im Auge zu behalten.

 

Projekt mit Vorbildcharakter: Blütenpflanzen fördern

An Bambergs Straßenrändern grünt und blüht es seit 1999 „wild“ und nahezu unberührt. Damals startete das städtische Umweltamt das ökologische Grünflächenmanagement auf zunächst sechs Kilometern Länge entlang der Bamberger Osttangente, dem Berliner Ring. In das mittlerweile preisgekrönte „Sandachse-Projekt“ wurden schließlich auch zuführende Straßen einbezogen. Inzwischen umfasst es eine Gesamtfläche von zehn Hektar. Jährlich wird in einer Artenliste festgehalten, was auf den Sandmagerrasenflächen an den Straßenrändern von Bamberg-Ost wächst. Das Monitoring ergab: Seit Projektbeginn erhöhte sich die Zahl der verschiedenen Arten von 320 auf über 470. Der Pflegeplan, das sog. Pflegeregime, gibt die Art der Pflege vor: einschürige oder zweischürige Mahd (Juli/Oktober) mit Entfernen des Mähguts. Für die Pflege sind die „Bamberger Service Betriebe“ zuständig, für die fachliche Betreuung und laufende Erfolgskontrolle das Umweltamt.

„Gelegentlich beschwert sich jemand, weil während der Blüte gemäht wurde“, sagt Dr. Jürgen Gerdes. Dem Naturschutzbeauftragten der Stadt zufolge sind seit dem bayerischen Volksentscheid „Rettet die Bienen“ 2019 viele Bürgerinnen und Bürger für das Thema sensibilisiert. „Wir geben das dann an die Ausführenden weiter“, sagt Gerdes, „die Bamberger Service Betriebe“. Die Abteilung Grünflächenpflege reagiert auf derartige Beschwerden, sofern die Verkehrssicherung nicht dagegen spricht, indem weitere Flächen aus der Intensivmahd genommen werden. Im Rahmen einer extensiven Pflege wird nur noch einmal pro Jahr gemäht – und das so spät wie möglich: dann, wenn die Pflanzen geblüht, gefruchtet und Samen ausgebildet haben. So konnten 2022, nach anfänglicher Trockenheit, viel Regen im September und spätem Frost, viele Arten noch im November blühen. Die späte Mahd ist für Gerdes „ein Akt der Klimaanpassung“. Auf Dünger wird auf diesen Flächen gänzlich verzichtet, um allen Arten ein natürliches Ausbreiten zu ermöglichen. Eine Kartierung im Auftrag der Regierung von Oberfranken (2019) ergab, dass Insekten davon unterschiedlich profitieren: Heuschrecken sehr gut, Wildbienen mittelmäßig, Tagfalter eher wenig. Die Experten vermuten, dass besonders flugaktive Insekten, abhängig von ihrer Flügelgröße, stark durch den Windsog des Verkehrs beeinträchtigt werden.

Die Regierung von Oberfranken finanzierte 2022 auch eine Kartierung der Pflanzen durch den Bamberger Botaniker Hermann Bösche. Die beiden Kartierungen dienen als Grundlage für weitere Absprachen mit den Bamberger Service Betrieben. Sie werden mit Rücksicht auf Insektenvorkommen festgelegte Abschnitte künftig lediglich alle zwei Jahre mähen. Das nütze nicht nur der Natur, wird der Bamberger Umweltreferent und Zweite Bürgermeister Jonas Glüsenkamp im Bamberger Rathausjournal (Dezember 2022) zitiert, es spare auch Arbeit und Energie.

Beispiele für Projekte:

– Das Projekt „Starterkit – 100 Blühende Kommunen“ (Bayern) hat das Ziel, im Freistaat kommunale Grünflächen naturnah und insektenfreundlich zu gestalten. Zudem soll die Vernetzung von Städten und Gemeinden intensiviert werden. Infos: www.bluehpakt.bayern.de/kommunen/starterkit.htm

– „StadtGrün naturnah“ ist ein bundesweites Label, das vielseitiges Engagement zur Förderung der biologischen Vielfalt auf kommunaler Ebene auszeichnet. Bis 2021 wurde das Projekt gefördert, jetzt ist die Teilnahme kostenpflichtig. 2023 lassen sich zehn Kommunen (Bad Dürkheim, Bernau bei Berlin, Bremen, Heilsbronn, Homberg/Efze, Ludwigshafen am Rhein, Neu-Isenburg, Offenburg, Rüsselsheim und Waldbronn) neu zertifizieren. Eine Rezertifizierung erfolgt nach drei Jahren. Diese durchlaufen dieses Jahr alle 14 Kommunen, die bereits am geförderten Projekt teilgenommen haben. „Ein voller Erfolg, der zeigt, dass es großes Interesse daran gibt, die Artenvielfalt im Siedlungsbereich zu fördern und dass das Label dafür ein angesehenes Werkzeug ist“, sagt Projektleiter Dr. Uwe Messer, Bündnis „Kommunen für biologische Vielfalt e.V.“ (Kommbio). Info: www.stadtgruen-naturnah.de

– Im Rahmen des Bundeswettbewerbs „Naturstadt – Kommunen schaffen Vielfalt“ setzen Kommunen auf ihren Flächen konkrete Projekte zum Schutz von Insekten und zur Förderung der biologischen Vielfalt um. Durchgeführt wird der Wettbewerb vom Bündnis „Kommunen für biologische Vielfalt e. V.“. Finanziell gefördert wird er im Bundesprogramm Biologische Vielfalt durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesumweltministeriums. Infos: www.wettbewerb-naturstadt.de/zukunftsprojekte.html

– Forschungsprojekt des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV), Landesbetrieb Straßenbau.NRW, Universität Osnabrück: Untersuchung und Fortentwicklung der Grünpflege im Straßenbetriebsdienst unter ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten (seit 2021). Insbesondere wird hier die Möglichkeit der insektenfreundlichen Gestaltung der Straßenränder geprüft. Ziel ist u. a. die Fortschreibung des Merkblatts „Grünpflege“.

Im bauhofLeiter kürzlich erschienene Beiträge zum Thema:

Amphibienschutz, Ausgabe Dezember 2022

Heckenpflege, Ausgabe Mai 2022

Die Autorin

Ulrike Reschke
Freie Journalistin
redaktionreschke.blog

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