TIPPS UND INFOS

Wurzelschäden

Text | Foto (Header): © Hartmut Neidlein

Vitale Altbäume sind die wahren Klimabäume in unseren Städten! Seit fünf Jahrzehnten gibt es eine DIN-Norm und Regelwerke für Baumschutz bei Baumaßnahmen. Warum ist der Baumschutz dennoch so erfolglos?

Auszug aus:

der bauhofLeiter
Ausgabe Juni 2023
Jetzt Leser/-in werden

Die Bedeutung von Stadtbäumen nimmt aufgrund der aktuellen Klimaveränderungen enorm zu. Bei einem globalen durchschnittlichen Temperaturanstieg um 2 °C kann für Deutschland ein Temperaturanstieg um das Doppelte,[1] also um etwa 4 °C, erwartet werden. Hinzu kommt, dass es in urbanen Hitzespots um bis zu 15 °C heißer ist als im natürlichen Umland.[2] Klimaschutzmaßnahmen wie Einsparung von CO₂ kann die Aufheizung von Städten nicht zeitnah stoppen, da Klimaschutz eine verzögerte Wirkung hat. Es sind zusätzlich Klimaanpassungsmaßnahmen in Städten erforderlich. Für die Kommunen besteht daher dringend Handlungsbedarf.

Altbäume mit viel Blattmasse kühlen ihre Umgebungsluft durch Schattenwurf und Verdunstung spürbar ab. Die Kühlleistung eines großen und vitalen Baums kann dabei 20–30 kW[3] betragen – was gut zehn Klimaanlagen entspricht. Solche vitalen Altbäume sind die wahren Klimabäume in unseren Städten. Baumschutz ist daher sowohl eine sofortige als auch eine in die Zukunft wirkende Klimaanpassungsmaßnahme.

Gut in der Theorie, schlecht in der Praxis

Baumschutz ist nichts Neues. Seit 50 Jahren gibt die DIN 18920[4] Hinweise zum Baumschutz bei Baumaßnahmen, ebenso die RAS-LP 4 und ihre Vorläufer. Die DIN 18920 „Vegetationstechnik im Landschaftsbau – Schutz von Bäumen, Pflanzbeständen und Vegetationsflächen bei Baumaßnahmen“ wurde 1973 herausgegeben.

Die RAS-LP 4 „Richtline für die Anlage von Straßen; Teil: Landschaftspflege; Abschnitt 4: Schutz von Bäumen, Vegetationsbeständen und Tieren bei Baumaßnahmen“, wurde ebenfalls 1973 unter dem Namen RSBB „Richtlinie zum Schutz von Bäumen und Sträuchern im Bereich von Baustellen“ veröffentlicht.

Trotzdem mangelt es in der Praxis immer noch am Baum- und Wurzelschutz auf Baustellen. Dies wird durch die viel zu häufig eintretenden Baumschäden belegt, von denen Baumpflegende und Baumsachverständige im Zuge von Baubegleitungen, Baumkontrollen und Gutachten Kenntnis erlangen. Wie viele Baumschäden mag es geben, die sich dieser Kenntnis entziehen? Dabei muss die Frage gestellt werden, ob die in der DIN 18920 und der RAS-LP 4 geforderten Schutzmaßnahmen nicht ausreichend sind oder nicht richtig angewendet werden.

Für welche Leistungen die DIN 18920 anzuwenden ist und welchen Zweck diese verfolgt, ist dem Anwendungsbereich zu entnehmen: „Diese Norm gilt für die Planung und Durchführung von Arbeiten jeder Art, durch die eine bauliche Anlage hergestellt, instandgehalten, geändert oder beseitigt wird. Sie dient dem Schutz von zu erhaltenden Einzelbäumen und Pflanzbeständen (Vegetationsflächen), z.B. aus Bäumen, Sträuchern, Gräsern, Kräutern, da der ökologische, klimatische, ästhetische, schützende und sonstige Wert bestehender Pflanzen/Pflanzungen durch Ersatz im Regelfall nicht oder erst nach Jahren erreicht wird.“

In den ersten Sätzen dieser Norm kommt deutlich zum Ausdruck, dass sie bei allen Baumaßnahmen anzuwenden ist. Auch wird klargestellt, dass der Baumschutz bereits eine Aufgabe in der Planung ist. Darüber hinaus gibt die Norm den Hinweis, dass der klimatische Ersatz von Pflanzen oder Anpflanzungen im Regelfall nicht oder erst nach Jahren erreicht wird. Weiter wird in der DIN 18920 unter „2 Normative Verweisungen“ auf die RASLP 4 verwiesen, dass diese für die Anwendung der Norm erforderlich ist. Die RAS-LP 4 wendet sich ebenfalls an alle: „Diese Richtlinien… sollen allen, die mit der Planung und Durchführung von Baumaßnahmen befasst sind, fachliche Handlungskriterien vermitteln“. Sie führt die Gründe für die Erhaltung von Bäumen und Sträuchern auf.

Dies sind im Einzelnen:
• Minderung des Eingriffs in Natur und Landschaft
• Einbindung des neuen Bauwerks in die Umgebung
• Wirkung als Gestaltungselement
• Erhalt historisch wertvoller Anlagen (Alleen, Parks)
• Beeinflussung des Kleinklimas
• Kühlung durch Schattenwurf
• Windschutz
• Erosionsschutz
• lufthygienische Auswirkungen und Staubfilterung
• optischer Lärmschutz (psychologische Wirkung)
• lange Entwicklungszeit, die Neupflanzungen benötigen, bis sie annähernd gleichwertige Wirkungen erzielen
• materieller Wert von Bäumen und Sträuchern (Sachwert)

Schon seit Jahrzehnten sind die positiven Auswirkungen von Grün und im Besonderen von Altbäumen auf unser Klein- und Stadtklima, aber auch das Problem der langen Entwicklungszeit von Neupflanzungen bekannt. Eine Ersatzpflanzung benötigt viele Jahre, um dieselbe Funktion eines vitalen Altbaums zu erreichen. Der Umkehrschluss hieraus ist: Baumschutz muss in einer Priorität erheblich höher gewertet werden als die Fällung und Ersatzpflanzung.

Auf alle Schadensarten und ihre Vermeidung kann im Rahmen dieses Artikels nicht eingegangen werden. Im Folgenden sollen die in der Praxis anzutreffenden Situationen auf Baustellen aufgezeigt werden.

 

Die Ursachen für einen Wurzelschaden

Sehr häufig werden Wurzelschäden ohne jegliche Abgrabungen allein durch Bodenverdichtungen verursacht, z.B. durch Befahrung und häufiges Begehen, oder zur Nutzung als „klassischer Lagerplatz“, etwa beim Abstellen von Maschinen, Geräten und Material unter dem Baum. In Abhängigkeit von der Bodenart und der Bodenfeuchte genügt schon ein einmaliges Befahren, um eine gravierende Bodenverdichtung zu verursachen. Der dadurch verursachte Sauerstoffmangel im Boden führt zum Absterben von lebenswichtigen Feinwurzeln, was wiederum zum Vitalitätsverlust und letztendlich zum Absterben eines Baums führen kann.

Ähnliche Folgen hat ein Bodenauftrag durch vorübergehende wie auch dauernde Erdaufschüttungen im Wurzelbereich. Je nach Bodenmaterial und Baumart können wenige Zentimeter Bodenauftrag zum Absterben von Feinwurzeln führen. Wenige Baumarten können zwar bei höherem Bodenauftrag neue Feinwurzeln (Adventivwurzeln) bilden, diese sind jedoch nicht zur Verankerung geeignet. Der Baum verliert seine Standsicherheit, weil die alten, statisch relevanten Wurzeln ersticken und letztendlich abfaulen. Dieser Prozess kann sich über Jahre hinziehen.

Bodenverdichtungen und Bodenauftrag können je nach Schwere des Eingriffs, der Baumart und Bodensituation ggf. durch Bodenbelüftung und andere Maßnahmen kompensiert werden. Meist irreparabel sind hingegen der Bodenabtrag und Grabungen, wenn dabei relevante Wurzeln abgerissen werden. Abgerissene Wurzeln in der Stärke eines Oberarms sind keine Seltenheit. Solche Wurzelabrisse gefährden nicht nur die Versorgung des Baums, sondern auch seine Verankerung im Boden, also die Standsicherheit.

 

Schäden sind meist unumkehrbar

Bei geringen Verlusten von Feinwurzeln wäre eine Kompensation durch unterstützende und vitalisierende Maßnahmen für den Baum denkbar. Meistens geht es aber um bleibende Schäden, bei denen „eine Reparatur“ i.S.d. vollständigen Herstellung der Funktionstüchtigkeit nicht mehr möglich ist. Sofern Bäume trotz Wurzelverlust erhalten bleiben können, z.B. durch einen Wurzelvorhang, sind damit i.d.R. Folgekosten für den späteren zusätzlichen Kontroll- und Pflegeaufwand sowie eine Verkürzung der Reststandzeit verbunden. Entsprechend der RAS-LP 4 ist bei der Planung und Durchführung von Baumaßnahmen der Vermeidung von Schäden an Bestandsbäumen Vorrang einzuräumen gegenüber der Beseitigung und Ersatzpflanzung.

 

Kronenfläche plus anderthalb Meter

In den Regelwerken wird der zu schützende Wurzelbereich mit der Kronenfläche (Kronentraufe) plus 1,5 m angegeben. Wird dieser Schutzbereich eingehalten, besteht kaum Gefahr, dass schwerwiegende mechanische Schäden an Bäumen und ihrem Wurzelwerk verursacht werden. Ergo: Sollte der Schutzbereich nicht eingehalten werden können, ist das Fachwissen von Bausachverständigen erforderlich. Diese sind in der Lage, Maßnahmen wie die Herstellung eines Wurzelvorhangs, die Versorgung und Wässerung richtig umzusetzen sowie die Pflege solcher Bäume während der Bauzeit und darüber hinaus zu begleiten.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die in der RAS-LP 4 aufgezeigten Schutzmaßnahmen bei moderaten Eingriffen in den Schutzbereich von Bäumen erfolgreich umgesetzt werden können. Wenn größere und folgenschwere Schäden verursacht werden, ist dies auf eine Fehlplanung im Hinblick auf den Baumschutz zurückzuführen, beispielsweise zu geringe Abstände oder nicht fachgerechte Umsetzung. Die fachlichen Instrumente sind in der DIN 18920, RAS-LP 4 sowie in Form von Fachliteratur und Fortbildungsmöglichkeiten ausreichend vorhanden.

 

Wie kann Baumschutz bei Baumaßnahmen gewährleistet werden?

Dazu ist ein Blick in das Qualitätsmanagement (QM) hilfreich: Qualität kann definiert werden als die Erfüllung von Anforderungen und Erwartungen. Der Begriff „Anforderungen“ bezieht sich auf gesetzliche oder andere Vorgaben. Bei Planung und Ausführung von Baumaßnahmen sind dies die Einhaltung der DIN 18920 und der RAS LP 4.

Die „Erwartung“ ist eher subjektiv geprägt und abhängig von der Wertevorstellung der Beteiligten. Sie bringt zahlreiche Interessenskonflikte mit sich. Die Bürger wünschen sich schöne grüne vitale Bäume, unter denen sie im Sommer verweilen können; Städteplaner sind gezwungen, auf engem Raum Wohnraum zu schaffen. Während der Ausführung kollidiert der Platzbedarf auf der Baustelle mit dem erforderlichen Schutzbereich des Baums.

 

Planen – Umsetzen – Überprüfen – Handeln

Als Problemlösungsprozess gibt das QM den PDCA-Zyklus an die Hand, mit den Schritten „Plan – Do – Check – Act“ (Planen – Umsetzen – Überprüfen – Handeln). Abgeleitet vom PDCA-Zyklus entwickelte der Autor dieses Textes die QUBA-Methode. QUBA soll als Problemlösungsprozess für die Thematik „Baum“ verstanden werden. Die Bausteine des QUBA gliedern sich in Qualitätskonzept, Umsetzung, Begleitung und Analyse.

Auch die Qualität eines Baumschutzes bei Baumaßnahmen benötigt ein Konzept und einen Problemlösungsprozess. Werden Baumsachverständige bereits in der Planungsphase eingebunden, können sie zunächst den Zustand der von der Baumaßnahme betroffenen Bäume und deren Erhaltenswert bestimmen. Darüber hinaus können erforderliche Maßnahmen wie Mindestabstände bei Abgrabungen, Festlegung von Wurzelvorhängen, Versorgung des Baums während der Bauzeit sowie geeignete Arbeitsverfahren und -schritte als Ziele in der Planungsphase definiert werden. So fließen sie konkret in die Bauplanung ein.

Allerdings gewährleistet ein gut ausgearbeitetes und in der Planung berücksichtigtes Qualitätskonzept für den Baumschutz noch nicht den Erhalt von Bäumen. Eine fachgerechte Umsetzung der einzelnen Baumschutzmaßnahmen ist notwendig. Hier hilft die Fragestellung: Wer macht was, wie und wann?

Wer verfügt über ausreichende Qualifikation für die Ausführung der Baumschutzmaßnahme? Die Umsetzung von Baumschutzmaßnahmen gehört in die Hände von Baumfachbetrieben.
Was ist zu unternehmen, um das Ziel, den Baum zu schützen, zu erreichen? Es ist zu prüfen, ob die Schutzmaßnahmen mit den Vorgaben der RAS-LP 4 übereinstimmen.
Wie sind die geplanten Maßnahmen durchzuführen? Das angewendete Arbeitsverfahren muss dem Zweck angepasst und baumschonend sein.
Wann sind die Schutzmaßnahmen durchzuführen? Der Zeitpunkt der Ausführung von Schutzmaßnahmen muss rechtzeitig und der Bauphase angepasst erfolgen.

Baumschutzmaßnahmen müssen an die Bauphasen gekoppelt werden. Hier ist die Kommunikation der Schlüssel zum Ziel: Verschiedene Bauphasen weisen unterschiedlich hohe Risiken für die Verursachung von Baumschäden auf, z.B. durch ungeeigneten Maschineneinsatz. Personalwechsel auf der Baustelle und mangelnde Kommunikation der Beteiligten begünstigen Abweichungen i. S.d. im Vorfeld festgelegten Ziele und deren Erreichung:
Vor dem Errichten des Baumschutzzaunes wird ohne Ankündigung der für den Aushub benötigte 30-t-Bagger auf der Baustelle angeliefert und unter dem Baum abgestellt. Dabei werden herunterhängende Starkäste aus der Baumkrone herausgerissen.
Es muss eine zusätzliche Leitung verlegt werden. Dies erfolgt kurzerhand und auf dem kürzesten Weg durch den Wurzelbereich eines Baums ohne Absprache mit der baumfachlichen Baubegleitung. Dabei werden Starkwurzeln abgerissen.
Beim Innenausbau sind zahlreiche Firmen zugegen, die keine Einweisung in den Baumschutz erhalten haben. Wegen Platzmangels wird der Baumschutzzaun abgebaut, um Material zu lagern. Dabei werden Bodenverdichtungen verursacht

Die einzelnen Bauphasen, an die der Baumschutz angepasst werden muss, können folgendermaßen eingeteilt werden:
Baustelleneinrichtung
Abbruch und Rückbau
Erd- und Leitungsbau
Tiefbau
Hochbau
Innenausbau
Herstellung der Außenanlage

Die Intensität der Begleitung muss ebenfalls an die Bauphasen und dadurch verbundene Risiken für die Bäume angepasst werden. Im QM wird die Zusammenarbeit verschiedener Gewerke und Abteilungen als interdisziplinäre Zusammenarbeit betitelt und als unerlässlich angesehen. Der Informationsfluss durch Kommunikation, die Zusammenarbeit zwischen der Bauleitung, den Ausführenden aller relevanten Gewerke sowie der baumfachlichen Baubegleitung ist elementar für den Erfolg. Nur so lassen sich die Einzelschritte oder auch Prozesse zum Baumschutz aktiv steuern.

Die rechtzeitige Analyse, ob der Baumschutz ausreichend ist oder während des Bauablaufs nachgebessert werden muss, ist enorm wichtig – denn eine „Reparatur“ des Baums ist nicht möglich. Durch eine Analyse sollen die Ursachen für nicht funktionierende Schutzmaßnahmen im besten Fall rechtzeitig vor Schadenseintritt erkannt und angepasst werden. Aufgrund der hohen Bedeutung von Altbäumen für das Stadtklima ist Baumschutz für jede Kommune eine lohnende Investition in die Gegenwart und in die Zukunft. Gelungener Baumschutz und vitale Bäume sind eine Frage des Qualitätsmanagements.

 

Quellen:

[1] Klaus Wiegand, 3 GRAD MEHR, ISBN: 978-3-96238-369-5
[2] taz.de/Auswirkungen-der-Hitzewelle-auf-Staedte/!5875922/
[3] Döpp, S et al., C 2011, Kennismontage: hitte en klimaat in de stad. vol. TNO-060-UT-2011-01053, TNO, Delft, s.l., S. 30
[4] DIN 18920 – 1973-10 – Beuth.de

Der Autor

Hartmut Neidlein

Öbuv-Sachverständiger für Verkehrssicherheit von Bäumen, Baumpflege, Gehölzschadensund Gehölzwertermittlung; Umweltbaubegleiter und Qualitätsbeauftragter (TÜV)

JETZT ABONNEMENT ANFORDERN UND KEINE AUSGABE VERPASSEN:

der bauhofLeiter

Das Fachmagazin für den kommunalen Bauhof