ERFAHRUNGSBERICHTE UND INTERVIEWS

Streckenkontrolle per KI

Text: Ulrike Reschke | Foto (Header): © vialytics GmbH

Weniger Personal, mehr Aufgaben, höhere Anforderungen – ohne Digitalisierung ist im Bauhof Vieles nicht mehr zu bewältigen. Die Technik hält glücklicherweise Schritt: Apps für die Straßenzustandserfassung können helfen, die Verkehrssicherungspflicht auch bei dünner Personaldecke zu gewährleisten.

Auszug aus:

der bauhofLeiter
Ausgabe Oktober 2023
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Die Frage, wie der Zustand kommunaler Straßen möglichst ressourcenschonend erfasst werden kann, ist einfach zu beantworten: mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI).

Damit ausgestattete Tools setzen Aufgeschlossenheit für die Digitalisierung bei den Anwendern voraus. Die ist im Bauhof jedoch nicht immer gegeben, weil häufig aus verschiedenen Gründen noch völlig anders gearbeitet wird: „analog“ mit Listen, Klemmbrettern und manuell ausgefüllten Tabellen. Mit den Vorzügen digitaler Arbeitsmittel, wie Komfort oder Zuverlässigkeit, lassen sich möglicherweise auch zunächst misstrauische Mitarbeitende für die Wende gewinnen.

 

Handy statt Klemmbrett

Kommunen, die Apps zur Straßenzustandserfassung bereits einsetzen, bestätigen: Solche Systeme für die Datenerhebung und Datenpflege bieten Entlastung und Sicherheit. Denn statt mit Klemmbrett und Stift kontrollieren die Mitarbeitenden, ausgestattet mit einem Smartphone, die Strecken nun bequem und sicher vom Fahrzeug oder Fahrrad aus. Dank Apps, z. B. vom Stuttgarter Unternehmen Vialytics, ist das herkömmliche System mit zahlreichen potenziellen Fehlerquellen Vergangenheit. Heute wird ein Smartphone, auf dem die entsprechende App installiert ist, an der Windschutzscheibe oder am Fahrradlenker angebracht, den Rest erledigt das digitale Tool quasi von allein. Für Kontrollen von Spielplätzen oder Geländern können die Mitarbeitenden auch zu Fuß unterwegs sein, da sich das Smartphone mit dem entsprechenden Programm einfach in die Hosen- oder Jackentasche stecken lässt.

Weil die Kontrolleure nicht für die Aufnahme jedes einzelnen Schadens ihre Fahrt unterbrechen oder das Fahrzeug verlassen müssen, wird viel Zeit gespart – Zeit, die für andere Arbeiten wie Erhaltungsmaßnahmen zur Verfügung steht.

 

Zeitersparnis und Komfort

In einer Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern setzt man bereits seit Längerem erfolgreich auf die App: „Vorher wurden Listen geführt, und die Aufzeichnungen erfolgten per Hand mit dem Stift bei den Kontrollfahrten oder Kontrollgängen“, sagt Heiko Tuchard, Sachgebiet Tiefbau in der Hansestadt Anklam. Er nutzt das Tool selbst seit knapp zwei Jahren und kann damit während der Fahrt Schadstellen auf der Straße dokumentieren. Die Zeitersparnis ist in seinen Augen einer der wesentlichen Vorteile des Systems, ein anderer der Komfort. „Per Knopfdruck kann beim Fahren eine Schadstelle markiert werden. Die Aufzeichnungen lassen sich hinterher am Rechner auswerten“, sagt Tuchard.

Während der Kontrollfahrt nimmt die App im Abstand von vier Metern Bilder inklusive GPS-Spur und Zeitstempel auf. Kennzeichen von Fahrzeugen und Gesichter werden der Datenschutzgrundverordnung entsprechend verpixelt. „Sie liefert ein vollständiges und aktuelles Abbild der Kommune“, sagt Bastian Rosato von Vialytics. Die gesammelten Daten werden bei einer WLAN-Verbindung automatisch in das zugehörige Web-System hochgeladen. Ein Algorithmus analysiert die Schäden an der Straßenoberfläche und wertet die aufgenommenen Bilder am Rechner aus. Die künstliche Intelligenz erkennt Schäden an Straßen, Wassereinläufen und Schildern und kategorisiert die gesammelten Daten automatisch. Vorab mit Tausenden gekennzeichneten Bilddaten manuell „gefüttert“, lernt sie in der Praxis mit jedem hochgeladenen Bild dazu.

Insgesamt kann das System 15 Schadensklassen erkennen und bewerten. Die Vorteile: Die Daten sind übersichtlich, automatisch sortiert und von allen nutzbar. Fehlerquellen, wie schwer lesbare Handschriften, verwischte Notizen oder Pannen bei der Übertragung in eine Kartei oder Tabelle, sind ausgeschlossen. Nach der Streckenkontrolle könne jede Fahrt am Rechner virtuell wiederholt werden, sagt Anwender Tuchard. Auffällige Punkte könne er dabei eingehend betrachten.

 

„Kommunen können sich auf die KI verlassen“

„Das Tool bietet umfangreiche Möglichkeiten von der Zustandserfassung bis hin zur Planung von Reparaturarbeiten“, erklärt Heiko Tuchard. In Anklam werden die Daten hauptsächlich eingesetzt, um Reparaturmaßnahmen an den Straßen zu beauftragen. Zudem nutzt der Mitarbeiter für Straßenunterhaltung die App als Kontrollnachweis in Schadensfällen. Die in der Nutzungszeit gesammelten positiven Erfahrungen ermutigten die Verwaltung, die App auch in anderen Bereichen einzuführen. „Zukünftig soll das Tool auch von den Mitarbeitern des Ordnungsamts zur Unterhaltung der Verkehrsbeschilderung genutzt werden“, erklärt Tuchard.

Ebenso wie beim Sammeln der Daten sinkt der Zeitaufwand durch den smarten Helfer KI auch bei der Datenpflege. Bei Anfragen von Bürgern oder aus der Verwaltung stehen alle Daten schnell digital zur Verfügung. „Bei der Sanierungsplanung und schwierigen Entscheidungen können sich Kommunen auf die Bewertung unserer KI verlassen“, sagt Bastian Rosato. Das System helfe, Zeit und Geld zu sparen, beschleunige kommunale Entscheidungsprozesse, vereinfache die ämterübergreifende Zusammenarbeit und gewähre neben Rechtssicherheit einen Überblick über das Straßennetz der Kommune. Sanierungs- und Unterhaltungsmaßnahmen sind mithilfe der Webanwendung besser planbar – Vorteile, die Heiko Tuchard als Anwender bestätigt.

 

Modellprojekt „Smart Cities“

Zu den rund 300 Kommunen, die das System bereits nutzen, zählt seit Anfang 2023 auch die Gemeinde Barleben in Sachsen-Anhalt. Sie nimmt an dem vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) geförderten „Smart-Cities“-Modellprojekt teil. Es vereint Kommunen, die Informations- und Vernetzungstechnologien für eine nachhaltige und integrierte Stadtentwicklung einsetzen. In Barleben soll das System zur Straßenzustandserfassung vorerst drei Jahre laufen. Installiert ist es in drei Fahrzeugen von Wirtschaftshof und Gemeindeverwaltung. Am Anfang standen die Erfassung und Analyse des rund 65 km umfassenden kommunalen Straßennetzes. Die Einteilung der registrierten Schäden in 15 Schadensklassen und die daraus folgende Priorisierung machen das Straßenmanagement besser planbar. „Wir wissen sofort, an welchen Straßen wir umgehend ranmüssen und wo z. B. aus einer geringen Schadstelle bald eine erhebliche Beschädigung der Straßenoberfläche entstehen kann“, sagt Bauamtsleiterin Stefanie Hoffmann.

 

Bereit für die digitale Transformation

„Die Mitarbeitenden unserer Partnerkommunen sind bereit zur digitalen Transformation“, sagt Bastian Rosato. Sie seien offen gegenüber neuen Technologien und Prozessen. Als Voraussetzung sollte im Bauhof oder Tiefbauamt bereits drahtloses Internet verfügbar sein. „Wir liefern alle Werkzeuge mit, die zur Nutzung unseres Systems benötigt werden“, sagt Rosato. Dazu gehören ein aktuelles iPhone mit der bereits installierten App, ein Lenkradknopf, Halterungen für die Windschutzscheibe und Fahrradlenker sowie der Zugang zum Web-System.

Wie das Unternehmen mitteilt, berichten Kommunen, dass sich die Streckenkontrollen dank des intelligenten Systems in der Hälfte der Zeit erledigen lassen. Geld sparen lässt sich auch durch Prävention. Ein Beispiel: Früh erkannte Risse in der Straße können vor dem Winter gefüllt und damit teure Reparaturen nach der Frostperiode vermieden werden. Und damit bleibt im nächsten Frühjahr mehr Zeit für die saisonal anfallenden Arbeiten.

Die Autorin

Ulrike Reschke
Journalistin und Redakteurin Schwerpunkt: Kommunale Strukturen und Einrichtungen

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