TIPPS UND INFOS

Rückwärtsfahren als Gefahrenquelle – Abfallsammlung

Text: Dieter Oelgemöller/Markus Gieske | Foto (Header): © eyetronic – stock.adobe.com

Bei Rückwärtsfahrten von Abfallsammlungsfahrzeugen kam es bereits zu schwerwiegenden Unfällen. Daher wurde das Rückwärtsfahren als potenzielle Gefahrenquelle erkannt und verboten. Doch was gilt hierbei für Bauhöfe?

Auszug aus:

der bauhofLeiter
Ausgabe August 2018
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Im Rahmen der neuen DGUV Branchenregel wurde das Rückwärtsfahren als potenzielle Gefahrenquelle bei der Abfallsammlung erkannt und deshalb grundsätzlich verboten. Nur unter besonderen Rahmenbedingungen sowie einer zuvor durchgeführten und ausführlich dokumentierten Gefährdungsbeurteilung seitens der Entsorgungsbetriebe ist das Rückwärtsfahren zulässig.

Sachstand bei der Abfallsammlung

Bei der Abfallsammlung ist aus ortsspezifischen Gründen Rückwärtsfahren in einzelnen Straßen notwendig (z. B. in Sackgassen ohne Wendemöglichkeit).

Um das erhöhte Unfallrisiko in solchen Fällen zu minimieren, gibt es durch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) und die Berufsgenossenschaften (BG) sowie Unfallkassen (UK) aufgestellte Vorgaben und Anforderungen, unter denen eine Rückwärtsfahrt zulässig ist. Von der DGUV werden die bestehenden Vorgaben und Anforderungen im Arbeitsschutz durch sog. Branchenregeln ergänzt und mit dem Ziel fortgeschrieben, den Unternehmen eine auf die Branche zugeschnittene Aufarbeitung und Zusammenfassung der relevanten Bestimmungen und Informationen zur Verfügung zu stellen. Hierzu wurde Ende 2016 die neue DGUV Branchenregel Abfallwirtschaft, Teil 1: Abfallsammlung (DGUV-Regel 114-601) veröffentlicht.

Rückwärtsfahren ist u. a. bei Abfallsammelfahrzeugen deswegen so gefährlich, weil die Fahrer den Raum hinter ihren Fahrzeugen nur unzureichend einsehen können. Immer wieder kam es daher in der Vergangenheit zu schweren, zum Teil tödlichen Unfällen von Einweisern, aber auch von unbeteiligten Dritten.

Entsprechend der o. g. Branchenregel sind Abfallsammeltouren grundsätzlich so zu planen, dass unfallträchtige Rückwärtsfahrten vermieden werden: „Wenn alle Möglichkeiten zur Minimierung des Rückwärtsfahrens nach eingehender Prüfung ausgeschöpft wurden und ein Rückwärtsfahren trotzdem notwendig ist, muss mittels einer Gefährdungsbeurteilung festgelegt werden, wie die gefahrlose Rückwärtsfahrt in dieser Situation durchzuführen ist.“

Methodisches Herangehen

INFA hat entsprechend den formulierten Vorgaben der Branchenregel eine 5-stufige Vorgehensweise zur Durchführung von spezifischen Gefährdungsbeurteilungen zum Thema Rückwärtsfahren entwickelt, die bereits bei vielen Betrieben im Bundesgebiet Anwendung findet.

Den Erfahrungen aus über 35 bundesweit durchgeführten Projekten für Städte und (Land-)Kreise mit insgesamt mehr als 10.000 begutachteten Rückwärtsfahrsituationen zufolge ist festzustellen, dass in den verschiedenen Regionen überwiegend vergleichbare Gefährdungen vorliegen (Beispiel für jeweils drei Landkreise/Städte – siehe Abb. Seite 26).

Fehlende bzw. nur einseitig vorhandene Bürgersteige bzw. Bankette sind in den hier untersuchten Gebieten sowohl in städtischen als auch ländlichen Strukturen die vorrangige Gefahrenquelle bei Rückwärtsfahrten. In Landkreisen stellen darüber hinaus Rückfahrstrecken größer 100 m eine besondere Gefährdung dar. In städtischen Strukturen hingegen ist häufig eine Verparkung wie auch die oft hieraus resultierende Sichteinschränkung als weitere Ursache für eine erhöhte Risikoeinstufung zu benennen.

Für die je Straßenabschnitt festzulegenden Maßnahmen gibt es einen Maßnahmenkatalog, aus dem die Betriebe individuell und ortsspezifisch auswählen. Beispiele sind:

  • Abfallsammelbehälter durch Bürger/Mitarbeiter vorziehen
  • (temporäres) Parkverbot einrichten
  • Engstellenfahrzeug einsetzen u. v. m.

In der Regel werden einfache und kostengünstige Maßnahmen den komplexeren, teureren Maßnahmen vorgezogen. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auch auf dem Service gegenüber dem Bürger.

Ein technischer Maßnahmenansatz zur Erhöhung der Sicherheit für alle Betroffenen bei notwendigen Rückwärtsfahrten stellt der Einsatz s. g. Fahrerassistenzsysteme dar. Entsprechend der Branchenregel dürfen diese Systeme (nach einer entsprechenden Zertifizierung – einzelne diesbezügliche Verfahren laufen zurzeit) zukünftig unter Verzicht auf einen Einweiser eingesetzt werden, wenn damit sicher eine Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen werden kann.

Bauhöfe sind keine Entsorgungsbetriebe

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob entsprechende Vorgehensweisen ebenfalls auf Bauhöfe übertragbar sind. Die Antwort lautet „ja“ und „nein“. Prinzipiell gilt die Branchenregel „Abfallsammlung“ nur für diesen Tätigkeitsbereich und nicht für Bauhöfe allgemein. Auch für die Zukunft ist zunächst keine vergleichbare Richtlinie für Bauhöfe in Planung. Das entbindet die Bauhöfe aber nicht von der Pflicht, die aktuelle Rechtslage in Bezug auf das Rückwärtsfahren zu beachten sowie Gefährdungsbeurteilungen durchzuführen. Dies gilt insbesondere dann, wenn (wie bei Abfallsammelfahrzeugen) bei bestimmten wiederkehrenden Tätigkeiten keine direkte Sicht nach hinten möglich ist. Bei Bauhöfen kann dieses z. B. auf Abrollkipper oder auf Hubsteiger zutreffen.

Für Bauhöfe sind dabei eine Reihe von „allgemeinen“ Vorschriften sowie die aktuelle Rechtsprechung zu beachten, beispielsweise:

  • § 9 Abs. 5 StVO (zum Schutz der Allgemeinheit)
  • Arbeitsschutzgesetz (1996): Verpflichtung zur Gefährdungsbeurteilung
  • einschlägige Urteile zum Rückwärtsfahren (z. B. VG Düsseldorf v. Juni und Juli 2015 und OVG Münster v. 06.08.2015), die ein generelles Rückfahrverbot nahelegen (von Bechtolsheim, 2015)

Insgesamt ist heute bereits ohne das Vorhandensein einer spezifischen Branchenregel für Bauhöfe nach derzeitiger Rechtslage das Rückwärtsfahren ohne direkte Sicht nach hinten nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen erlaubt. Es besteht bereits jetzt ein nicht zu unterschätzendes Haftungsrisiko.

Was ist für Bauhöfe zu tun?

  • Gibt es Betriebs-/Dienst-/Arbeitsanweisungen zum Umgang mit Rückwärtsfahrten?
  • Liegen (allgemeingültige) Gefährdungsbeurteilungen zum Rückwärtsfahren vor?
  • Werden besondere Schulungen/Unterweisungen zum Rückwärtsfahren durchgeführt?
  • Wie erfolgen Wirksamkeitskontrollen zur Einhaltung entsprechender Arbeitsanweisungen?
  • Welche Konsequenzen sind bei Verfehlungen vorgesehen?
  • Gibt es einen Notfallplan/Alarmplan, der z. B. beim Eintreten eines schweren Unfalls greift?

Darüber hinaus sollten die Baubetriebshöfe Maßnahmen ergreifen, mit denen Rückwärtsfahrten ohne Sicht nach hinten vermieden werden können. Hierzu können z. B. zählen:

  • eine entsprechende Organisation der Fahrten, wobei auf ein Rückwärtsfahren, z. B. durch Inkaufnahme von „Umwegen“, verzichtet werden kann
  • bei der Planung von länger andauernden Baumaßnahmen entsprechende temporäre Verkehrswege (Baustellenstraßen und Arbeitsflächen) einplanen, die eine durchgehende Vorwärtsbefahrung ermöglichen
  • ggf. in Ausnahmefällen Einsatz von kleineren Spezialfahrzeugen, die das Wenden auf engstem Raum ermöglichen und somit das Rückwärtsfahren vermeiden

Da die täglichen Aufgaben der Bauhöfe sehr vielschichtig sind, eine breite Streuung aufweisen sowie auch unterschiedlichste Fahrzeuge eingesetzt werden, sind auch die Möglichkeiten der Vermeidung von Rückwärtsfahrten sehr vielfältig. Daher empfiehlt sich eine grundlegende Prüfung des Sachverhalts, bei der wesentliche Fragen im Vorfeld geklärt werden und diese somit die Basis für die nächsten Schritte bilden:

  • Welche Fahrzeuge kommen zum Einsatz?
  • Wo liegen die Einsatzschwerpunkte?
  • Gibt es aktuell Situationen/Örtlichkeiten, in denen regelmäßig rückwärts gefahren wird?
  • Welche „einmaligen/spontanen“ Rückwärtsfahrsituationen gibt es in der alltäglichen Betriebspraxis darüber hinaus?
  • Wie gehen die betroffenen Fahrer aktuell mit Rückwärtsfahrten um?

Derzeit ist für Bauhöfe eine Branchenregel „Rückwärtsfahren“ analog zur Abfallwirtschaft nicht in Sicht und der Aufbau von Rückwärtsfahrkatastern nicht erforderlich. Dennoch ist bei wiederkehrenden unvermeidbaren Rückwärtsfahrten die Erstellung allgemeiner Gefährdungsbeurteilungen i. S. d. Arbeitsschutzgesetzes ratsam. Bei besonderen Einzelfällen mit einem hohen Risiko kann darüber hinaus eine Gefährdungsbeurteilung, bezogen auf den jeweiligen Einsatzort durch den jeweiligen Verantwortlichen des Bauhofs, sinnvoll sein. Im Sinne der Sicherheit stehen somit auch die Bauhöfe in der Pflicht, das Thema Rückwärtsfahren zielgerichtet aufzuarbeiten!

Die Erarbeitung der betriebsspezifischen Vorgehensweise sowie die Durchführung der Gefährdungsbeurteilungen einschließlich der Entwicklung von praxistauglichen Maßnahmen bedeuten dabei einen nicht zu unterschätzenden Bearbeitungsaufwand für den einzelnen Bauhof.

Der Autor

Dieter Oelgemöller/Markus Gieske
INFA GmbH

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